Mit Blaulicht zur Grenze

Rüdiger Lentz in 2010

 

Exklusivinterview mit Rüdiger Lentz, ehemaliger Studioleiter Deutsche Welle in Washington D.C.

Seit 1976 arbeitet Rüdiger Lentz als Journalist und gehört seit über 25 Jahren zu den prominentesten and angesehensten deutschen Fernsehreportern. Lentz war unter anderem als Chefredakteur bei RIAS-TV in Berlin und als Studioleiter von Deutsche Welle Radio in Brüssel tätig. Außerdem arbeitete er als Korrespondent für Der Spiegel und die ARD. Er hat alle amerikanischen Präsidenten aus nächster Nähe erleben dürfen und interviewte zahlreiche Politiker und Prominente – zuletzt in seiner Funktion als Studioleiter von Deutsche Welle in Washington D.C. Nach einem Leben auf der Überholspur nahm Rüdiger Lentz am 2. November 2009 seinen Abschied von der Deutschen Welle. Erinnerungen und Ausblicke eines Vollblutjournalisten.

German World: Wie kam es dazu, dass Sie bereits jetzt – zweieinhalb Jahre vor Ihrer Pensionierung – auf eigenen Wunsch in den Ruhestand gehen?

Rüdiger Lentz: Ich fand 33 Jahre Journalismus waren genug. Ich hatte alles ausprobiert und gemacht: Magazinjournalismus, Radio und Fernsehen. Ich habe die Entwicklung vom Negativfilm zum digitalen Fernsehen, vom Bleisatz zum Computerdruck  miterlebt. Ich war vor der Kamera, hinter der Kamera, habe Redaktionen geleitet oder war als Einzelkämpfer und Reporter unterwegs. Ich suchte nach einer neuen Herausforderung, nach etwas, das es noch nicht gab, das man selbst mitbestimmen und gestalten kann. Diese Aufgabe habe ich jetzt gefunden. Die German American Heritage Foundation of the USA hat mir die einmalige Chance gegeben, das erste nationale Museum zum Thema der deutschen Auswanderung in die USA in Washington  aufzubauen und zu leiten. Und dabei werden Bilder, Texte und spannende Geschichten über die Leistungen von Deutsch-Amerikanern beim Aufbau und der Entwicklung der USA eine große Rolle spielen. Insofern bleibe ich meinem alten Metier in gewisser Weise doch noch treu.

GW: Für viele Zuschauer sind Sie als politischer Kommentator auf DW-TV vom Bildschirm gar nicht mehr wegzudenken. Wie waren die ersten Wochen für Sie ohne die üblichen Verpflichtungen?

RL: Noch habe ich keine Entzugserscheinungen, aber ich bin sicher, die werden noch kommen. Bei wichtigen politischen Ereignissen nicht mehr dabei zu sein, nicht mehr berichten und kommentieren zu können, das wird mir sicher fehlen. Aber ich bin ebenso sicher, dass das Museum ein Erfolg wird. Und wenn es von den Besuchern und der Öffentlichkeit angenommen und positiv beurteilt wird, dann gibt es keinen Grund dem Journalismus nachzuweinen.

GW: Bei Ihrer Verabschiedung am 2. November 2009 in Washington D.C. erwähnte Ihr nun ehemaliger Chef, Deutsche Welle Intendant Eric Bettermann, dass er Sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge gehen sieht? Geht Ihnen das nach 17 Jahren bei der Deutschen Welle ähnlich?

RL: Das Bild vom lachenden und weinenden Auge trifft sicherlich auch für mich zu. Sich von der Aufgabe der Deutschen Welle Informationen über Deutschland und Europa über das Fernsehen, das Radio und das Internet in der ganzen Welt zu verbreiten, ganz zu lösen ist sicherlich ein radikaler Einschnitt in meinem Leben. Am meisten fehlen wird mir mein Washingtoner Team, mit denen mich weit mehr verbindet als nur die professionelle Zusammenarbeit.

GW: Im Laufe Ihrer Karriere haben Sie viele bedeutende internationale Politiker und Staatsoberhäupter interviewt. Welche Begegnungen sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

RL: Mein wohl bizarrstes Interview habe ich mit Ghadafi in der libyschen Wüste geführt. Ich hatte immer den Eindruck, einem halb Wahnsinnigen gegenüber zu sitzen, dessen Reaktionen mir völlig unkalkulierbar erschienen. Einer meiner beeindruckendsten Interviewpartner war der amerikanische Historiker Fritz Stern, der mit mir über sein Leben als deutscher Jude und Exilant in Amerika und seine heutige Einstellung zu Deutschland sprach. Das war kurz bevor er den Friedenspreis des deutschen Buchhandels in Frankfurt verliehen bekam. Ich habe selten einen so gebildeten, bescheidenen und angenehmen Menschen erlebt. Kohl hingegen war ein schwieriger Gesprächspartner, meistens grantelnd, ähnlich wie Helmut Schmidt übrigens. Wenn er aber etwas loswerden wollte, konnte er auch umwerfend offen und pfiffig-komisch sein. (Gerhard) Schröder habe ich als eher unangenehm empfunden. Ruppig, flegelhaft und gegenüber Journalisten von einer herablassenden Arroganz, mit der er wohl den machtpolitischen Abstand deutlich machen wollte. Angela Merkel habe ich zwar nicht interviewt, aber im kleinen Kreis als immer sehr sachorientiert und menschlich angenehm in Erinnerung.

GW: Als die Berliner Mauer am 9. November 1989 fiel, waren Sie als Bureau Chief von RIAS in Washington. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?

RL: Zufälligerweise war ich gerade selbst in Berlin. Und mein Glücksstern meinte es an diesem Schicksalstag besonders gut mit mir. Ich war ganz in der Nähe des Grenzüberganges „Sonnenallee“ im Südosten Berlins zu der  Geburtstagsparty des Filmemachers Ulrich Schamoni eingeladen, der genau an diesem Tag seinen Fünfzigsten mit Freunden feierte, darunter auch der damalige amerikanische Stadtkommandant Harry Gilmore. Und der wurde um etwa neun Uhr alarmiert, dass die Grenzen offen seien und die Ostberliner in Massen in den Westteil der Stadt strömten. Da gab es für mich und meine Freunde kein Halten mehr. Wir verließen die Party und rasten zum Grenzübergang „Sonnenallee“. Unterwegs  wurden wir noch von einer Polizeistreife wegen überhöhter Geschwindigkeit gestoppt. Mein Presseausweis  und der Hinweis wir müssten sofort zur  Mauer, ersparte uns das Ticket. Mehr noch: Wir  wurden mit Blaulicht und Peterwagen vorneweg zur Grenze eskortiert. Und von dort kamen uns schon die ersten Trabis entgegen, die in den Westteil rollten. Ganz langsam, als ob sie sich erst an die neue Umgebung gewöhnen müssten. Es war ein überwältigender Anblick: Wildfremde Menschen fielen sich in die Arme, es wurde geheult und die Freudentränen, die an diesem Abend in Berlin geflossen sind, konnten sicherlich einen ganzen Teich füllen. Ich glaube, dass jedem, der dabei gewesen ist, ging es wie mir: ich empfand ein unendliches Glücksgefühl und eine tiefe Dankbarkeit, diesen historischen Moment  miterleben zu dürfen. Später haben wir dann noch einen „unerlaubten“ Spaziergang in den Osten unternommen. Ich glaube, wir waren die einzigen in dieser Nacht, die vom Westen in die DDR eingedrungen sind. Dort  war alles dunkel. Nur vereinzelt kamen uns DDR-Bürger entgegen, zum Teil nur mit Hausschuhen, Pyjama und einem Mantel bekleidet, die sich selbst vergewissern wollten, dass die Mauer wirklich offen war. Sie hatten  aus dem Westfernsehen davon erfahren, wie sie uns sagten.

Später haben wir dann auf dem Ku’damm in Westberlin bei einer Wurstbude  zusammen mit den „rübergemachten Ossis“ weitergefeiert. Meine Freunde und ich haben in dieser denkwürdigen Nacht unser ganzes Geld in Bier und Currywurst investiert und damit die vorbeiknatternden Trabikolonnen und deren Fahrer versorgt. Wie waren dabei nicht die Einzigen: Alle Westberliner zeigten sich in dieser Nacht und auch noch in den Tagen danach großzügig und spendierfreudig. Das hat sich dann später leider geändert.

GW: Zum 20. Jubiläum des Mauerfalls bot die Deutsche Welle eine 24-Stunden Live Berichterstattung direkt vom Brandenburger Tor. Haben Sie in Berlin mitgefeiert?
RL: Nein, ich war an dem Jubiläumstag in Washington. Aber wir hatten mit dem Washingtoner DW-Team ein paar Tage vor dem 9. November eine TV-Sendung zum Fall der Mauer produziert, an der unter anderem der ehemalige deutsche Außenminister Genscher, der ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident Bush (Vater), General Scowcroft und Walter Momper, der zum Zeitpunkt des Mauerfalls Reg. Bürgermeister von Berlin war, teilgenommen haben. Wir wollten vor allem unseren amerikanischen Zuschauern die Bedeutung dieses historischen Ereignisses nahebringen, das ja das Ende des Kalten Krieges und den Beginn einer neuen Ära markiert hat. Die Kommentierung des Mauerfalls durch die eingeladenen Zeitzeugen und die Beteiligung von Studiogästen an dieser Sendung waren unser Versuch, dieses historische Datum zu würdigen. Den Reaktionen der Zuschauer zufolge ist uns das auch gelungen. Diese Sendung  war auch meine letzte große Fernsehproduktion  meiner journalistischen Karriere. Es war schön, sich gerade mir diesem Thema und  diesem so positiven Datum der deutschen Geschichte von meinen Zuschauern  und der Deutschen Welle verabschieden zu dürfen.

GW: Seit 1999 waren Sie Studioleiter der Deutschen Welle in Washington D.C. Mit welchen amerikanischen Präsidenten oder US-Außenministern haben Sie persönlich sprechen können und wie sind diese Begegnungen verlaufen?

RL: Ich habe von Reagan bis zum jetzigen Präsidenten alle aus nächster Nähe erleben dürfen, sei es auf Pressekonferenzen oder auf Auslandsreisen. Besonders im Gedächtnis haften geblieben ist mir die die erste Reise von Präsident George H.W. Bush nach Polen und Ungarn. Die Mauer war gerade gefallen und Europa und die ganze Welt standen vor einer historischen Neuorientierung. Die Reise begann schon dramatisch: Präsidentenreisen sind so organisiert, dass das begleitende Pressekorps in einer eigenen Maschine den Präsidenten begleitet. Und die fliegt immer nach dem Präsidenten ab, damit die TV-Crews noch die Bilder des Abflugs drehen können. Dann überholt sie die Air Force One um am Zielort vor dem Präsidenten da zu sein und die Ankunft zu drehen. Als wir allerdings auf Andrews Air Force Base mit unserer gecharterten Boeing 747 starten wollten, ging eine Tür in der Passagierkabine nicht zu. Eine Ersatzmaschine war nicht aufzutreiben und der Präsident schon auf dem Weg nach Warschau. Was also tun? Der Kapitän wusste Rat. Ein Gabelstapler drückte die Tür von außen zu, drinnen wurde verriegelt, das rote Kontrollicht blieb an und wir starteten. Ganz sicher ein  grober Verstoß gegen alle FAA-Regeln und heute undenkbar. Aber unserer Reise war gerettet auch wenn wir beim Anblick der Warnlampe während der ganzen Reise ein etwas mulmiges Gefühl hatten. Entschädigt wurden wir dafür durch den begeisternden Empfang der dem Präsidenten in Warschau, Danzig und Budapest zuteilwurde. Es war eine ungeheure Aufbruchsstimmung  spürbar und die Freude darüber, dass Europa jetzt auf dem Weg war vereint und frei zu sein. Daran hatten die USA und die amerikanischen Außenminister großen Anteil. Besonders Jim Baker und Lawrence Eagleburger , die ich bei den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen, die zur deutschen Einheit führten immer wieder begleitet und gesprochen habe, sind mir als engagierte Freunde Europas und Deutschlands im Gedächtnis geblieben. Wir Deutsche haben ihrer Politik viel zu verdanken.

GW: Sie sind immer wieder als Gastredner an die Universitäten von Harvard, Georgetown und LA sowie ins US-Außenministerium eingeladen worden. Was möchten Sie Studenten oder angehenden Journalisten vor allem für ihre Karriere mit auf den Weg geben?

RL: Viel lesen, immer weiterlernen und vor allem offen sein: für Menschen, für neue Eindrücke und für politische und wirtschaftliche Veränderungen. Wer in dieser globalen und komplexen Welt als Journalist erfolgreich sein will, muss  die Gesamtzusammenhänge begreifen lernen, er muss global und über den nationalen Tellerrand hinaus denken lernen. So habe ich meinen Beruf begriffen und das Wissen und meine Erfahrungen versuche ich jetzt jungen Journalisten und Studenten weiterzugeben.

GW: Sie sind seit 25 Jahren glücklich mit Ihrer Frau Birgitt verheiratet und Sie haben zwei Kinder. Wie haben Sie eine anspruchsvolle und nervenaufreibende Karriere mit Familienleben vereinbaren können?

RL: Das Geheimnis jeder guten Ehe ist gegenseitige Achtung und Toleranz. Und Birgitt, meine Frau, hatte für die besonderen Anforderungen meines Berufes immer großes Verständnis. Sie hat mir in 25 Jahren Ehe den Rücken freigehalten und sich um unsere Töchter gekümmert wenn ich wieder mal in Afghanistan, im Nahen Osten oder in Russland unterwegs war. Und dafür bin ich ihr sehr dankbar.  Mein Erfolg ist auch ihr Erfolg, weil er ohne sie gar nicht möglich gewesen wäre.

Eine Kurzform des Interviews mit Fotos von Rüdiger Lentz’ Abschied erschien in der Winter 2009/2010 Ausgabe von © German World Magazine in englisch und deutscher Sprache.

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